Atempause (Matthäus 11,28-30)
Gottesdienst am 14.6.2020 in Brombach

Liebe Gemeinde,
letzte Woche hörte ich ein Interview mit einer Politik-Journalistin. Sie wurde gefragt, wie sie die Corona-Krise wahrnehme. Sie erzählte daraufhin sehr persönlich von ihrem Hamsterrad, in dem sie sich vor Corona befand. Termine waren zu absolvieren, zu Treffen war sie eingeladen, sie reiste unermüdlich von A nach B, dazwischen spielte sich ihr Privatleben ab, Geburtstage, Urlaubsreisen, Freunde treffen und immer am Ball bleiben. Sie meinte, ihr Leben wäre überhitzt gewesen wie bei einem Dauerlauf. Corona hätte wie ein Stopp-Schild gewirkt. Das Hetzen war plötzlich unterbrochen. Sie konnte sich neu besinnen: „Was ist wirklich wichtig in meinem Leben? Welche Menschen brauche ich und welche brauchen mich? Wie will ich zukünftig arbeiten und leben?“

Dieses Interview hat mich fasziniert. Ich habe mich selbst wiedererkannt beim Laufen im Hamsterrad und wie die Wochen des Lockdowns manches zurechtgerückt haben. Ich wurde erinnert an ein Jesus-Wort.
Vorausgegangen war ein Misserfolg Jesu. Er hatte in Städten gepredigt, war dort aber von den Führenden der damaligen Zeit abgelehnt worden. Sie fanden viele Gründe, um auf Abstand von ihm zu gehen. Jesus hätte Grund gehabt, an seiner Mission zu zweifeln. Doch stattdessen, stieg er auf eine Anhöhe - so stelle ich es mir vor - schaute herunter auf die Städte in der Ebene und betete zu Gott. Er lobte Gott. Er dankte ihm, dass einfach gestrickte Menschen ihm das Herz öffneten, ihm vertrauten. Sie klammerten sich offenbar nicht an das eigene Können, die eigenen Möglichkeiten, sondern legten ihre Hände vertrauensvoll in Jesu Hand, ließen sich von ihm anleiten, dem Vater im Himmel alles zu sagen, was sie bewegte. Ihnen öffnete Jesus die Tür zu Gott, Gott war nicht länger unerreichbar weit weg, sondern wurde sichtbar in Jesus.

Nach diesem Dankgebet wandte sich Jesus um und sah die Leute, die ihm auf die Anhöhe gefolgt waren. Er nahm ihr Bedürfnis nach Ruhe und Entlastung wahr und rief ihnen zu:

Matthäus 11,28-30
Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Bei mir werdet ihr Ruhe finden. Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe. Lernt von mir: Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab. Dann wird eure Seele Ruhe finden. Denn mein Joch ist leicht. Und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last.

Jesus hat Menschen im Blick, die an ihrer Alltagssituation zu tragen haben. Ich stelle mir vor, wie jemand ein Joch auf den Schultern trägt. Ein Joch ist eine Stange, mit deren Hilfe man links und rechts angehängte Lasten leichter tragen kann. In einem Eimer, der an der Stange hängt, kann der ganz normale alltägliche Wahnsinn dieser Tage enthalten sein, Kinder zuhause beschulen, Homeoffice, Haushalt. Vielleicht ist ein Eimer schwer vor Kummer oder Sorge um einen lieben Menschen. Vielleicht wiegt eine Verletzung des Körpers oder der Seele schwer. Vielleicht trägt jemand zu viel Verantwortung und bricht unter der Last fast zusammen. Die Eimer rechts und links können randvoll sein und nur noch einen gebückten Gang zulassen. 

Jesus sieht die Sehnsucht einer schwer tragenden Person, das Joch abzuwerfen, die Probleme gelöst zu bekommen und die Zusage zu erhalten: Alles wird gut!

Wenn wir selbst uns gerade so fühlen, ruft Jesus uns zu: „Kommt her zu mir!“ Er schenkt die Aussicht auf Erholung, Ruhe, eine Atempause. 

Ruhe finden
Jesus lädt die Menschen um sich ein, auf der grünen Wiese zu lagern. Vielleicht fließt noch ein Bächlein hindurch, erquickt das klare Wasser und beruhigt die aufgewühlte Seele. Auf der Wiese gibt Jesus die Aufgabe loszulassen:

  • Meine Pläne: Ich habe ziemlich genau im Kopf, wie der Weg für mich und mein Aufgabengebiet weitergehen soll. Nicht immer, so wie gerade in Corona-Zeiten, gelingt es, den Plan einzuhalten. Das führt zu Spannungen und Stress. Jesus sagt mir, dass ich meine Pläne auf der Wiese ablegen kann. Es geht jetzt nicht darum, Ziele zu erfüllen oder Ansprüchen gerecht zu werden. Ich darf ausatmen, mich in Jesu Gegenwart frei fühlen, geborgen.
  • Meine Schuldscheine: Manchmal liegen in einem mitgetragenen Eimer nicht eingelöste Schuldscheine. Da wird gesammelt, was jemand mir angetan hat, was sie mir schuldig geblieben ist, Entschuldigungen, auf die ich ewig warte. Die Schuldscheine wiegen schwer. Und sie sammeln sich an. Jesus will mir diesen Eimer abnehmen. Er fordert mich auf, die Schuld anderer mir gegenüber mal zu vergessen und darauf zu achten, was Jesus mir Gutes tut. Wenn ich auch die Entschuldigung der anderen nicht bekomme, Jesus heilt diesen Schmerz.
  • Meine Ängste: Wohl niemand ist frei von Ängsten. Wir haben Angst zu versagen, Angst zu sterben, Angst, dass jemand in unserem Umfeld etwas geschieht, Angst vor morgen, Angst vor Veränderung und Angst vor Stillstand. Fast alles kann Angst machen. Angst bewahrt uns vor Übermut und schützt, aber Angst kann auch zum Gefängnis werden, das uns festhält und unseren Lebenskreis immer enger werden lässt. Jesus fordert uns auf, in seiner Gegenwart die Ängste abzugeben. Sie fahren zu lassen und zu vertrauen, dass uns hier in diesem Moment nichts passieren wird. Jesus ist unsere Sicherheit, und er sagt uns ganz direkt: „Hab keine Angst!“
Nun bin ich auf dieser Wiese, das Joch habe ich abgelegt, die Eimer drücken mich nicht mehr zu Boden. Ich darf ausruhen. Ich muss nichts anderes tun, als zu atmen, hier zu sein, die Nähe Jesu zu genießen.

Wie sieht das nun praktisch aus? Ich habe mich selbst beobachtet und entdeckt, wie und wo für mich dieses Ausruhen besonders gut stattfindet.

  • Ausruhen ist für mich oft mit Essen verbunden. Ich liebe es, Zeit zum Essen zu haben, es zu genießen und dabei zu erleben, wie ich entspannen kann. Jesus ist mit am Tisch. Er schenkt mir die Atempause. Er lenkt Gespräche beim Essen. Er lässt auch Pausen nicht peinlich sein. Er gibt mir, was ich gerade brauche, neue Energie, ein Duft, der mein Herz erreicht, Fülle, die mich satt werden lässt.
  • Ich erlebe das Loslassen beim Laufen. Der Rhythmus der Bewegung, die Eindrücke, manchmal gute Gespräche, wenn jemand mitläuft, neue Inspiration, wenn ich auf irgendetwas Besonderes am Wegrand aufmerksam werde. Das hilft mir, die Eimer des Alltags abzugeben, ein bisschen Freiheit zu genießen.
  • Für viele an der ersten Stelle steht die Musik. Sich in Lieder oder Musikstücke hineinfallen zu lassen, sie mitzusingen, sie einzuatmen, lässt die Seele mitschwingen. Der Kopf und das Herz werden frei, sie bekommen einen neuen Rhythmus. Nicht „du musst, du sollst“ gibt den Takt an, sondern „du bist geliebt, du darfst, ich helfe dir“.
  • Ich genieße die Stille, dass mal keiner was sagt oder meint, dass ich mich auf nichts konzentrieren muss, sondern einfach sein kann – welch köstliche Erholung nach einem langen Tag. Da kommt mir Jesus als Partner so nahe. Ich fühle mich von ihm umgeben, angeschaut, geliebt.
  • Ich lese gerne gute Texte, die mir zu Herzen gehen. Sie bringen mich auf neue Fährten, helfen mir, die eigenen Themen hinter mir zu lassen, machen mich neugierig, was noch so auf mich wartet. Sie locken mich weiterzugehen.
Mag sein, Sie finden sich bei einem oder mehreren Punkten wieder. Jede, jeder hat sicher eine andere Reihenfolge und noch mehr Punkte, wie er, sie am leichtesten Ausruhen auf der Wiese erlebt. Es kommt nicht darauf an, eine besonders originelle Art und Weise zu finden, nur, diese Wiese aufzusuchen auf welchem Pfad auch immer und auszuatmen. Denn so werden wir Kraft tanken, um den nächsten Schritt zu gehen.

Das Joch Jesu aufnehmen
Fast verstörend spricht Jesus nun von seinem Joch, das er uns auflegen will. Ist es womöglich noch schwerer als das, das wir gerade ablegt hatten? Hören wir nun aus Jesu Mund die „Du sollst!“-Gebote, die das Leben so anstrengend machen?

Ich sehe das Joch, von dem Jesus hier redet, nicht als die Schulterstange, die jeder selbst trägt, sondern als ein Doppeljoch. Das war ein Zuggeschirr für die Landwirtschaft. Zwei Ochsen wurden mit einem Doppeljoch verbunden und zogen nun gemeinsam an einem Pflug. Das machte das Ziehen für sie so viel leichter. Jesus legt uns ein solches Joch auf, das er selbst mitträgt. Er nimmt uns unsere Eimer nicht einfach ab und kippt sie aus. Unsere Lebenserfahrung sagt uns, dass die Probleme nach dem Ausruhen nicht einfach verschwunden sind. Unsere Pläne ploppen bald wieder auf, Schuldscheine rascheln und Ängste kehren wieder. Doch wir sind mit allem nicht mehr allein unterwegs. Jesus trägt mit daran. Er leistet uns Gesellschaft, wenn wir vor Angst kaum atmen können und spricht uns gut zu. Er lässt unsere Pläne in seinem Licht erscheinen, vorläufig und von Gottes Güte abhängig. Er heilt unsere Schmerzen und lässt uns Schuldscheine zerreißen. 

Doch Jesus bindet uns nicht ungefragt in sein Zuggeschirr ein. Wir können uns entscheiden. Wollen wir, dass Jesus mitträgt, oder wollen wir allein die Eimer unseres Lebens weiterschleppen?

Entscheiden wir uns, Jesus mittragen zu lassen, wird er unseren Weg verändern. Wir schauen in seine Richtung, wir lernen von ihm. Er wird uns den Blick für unsere Nächsten schenken, wie er ihn hat. 

Vielleicht lehrt uns gerade diese Zeit etwas Wichtiges. Wir tragen im Alltag Mund-Nasen-Schutz. Viele von uns lieben das gar nicht, es behindert uns auch beim Reden. Aber vielleicht ist gerade das Jesu Schule für uns: dass wir sehen lernen wie er, dass wir hören lernen wie er, dass wir zuhören und nicht dauernd von uns selbst reden. So werden wir aufmerksamer für die Zwischentöne der anderen, zu denen Jesus uns schickt, und offener für die Wege, die Jesus mit uns gehen will.

Atempausen haben wir so nötig. Wir dürfen zu Jesus kommen, unsere Lasten ablegen, tief ausatmen und frei werden, um voller Freude und Zuversicht mit Jesus den Weg fortzusetzen.

Der HERR ist mein Hirte. Mir fehlt es an nichts. Die Weiden sind saftig grün. Hier lässt er mich ruhig lagern. Er leitet mich zu kühlen Wasserstellen. Dort erfrischt er meine Seele. (Psalm 23,1-3)

Cornelia Trick


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