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Liebe Gemeinde,
Ein bisschen kommt mir Silvester dieses Jahr so vor. Wir werden nicht groß feiern. Statt auf einer Party viele Leute auf engem Raum zu treffen, werden wir mit höchstens fünf zusammensitzen. Kein Feuerwerk wird um 24 Uhr das neue Jahr lautstark ankündigen. Man könnte sich also heute Abend ins Bett legen und den Anfang des neuen Jahres 2021 getrost verschlafen. Als wenigstens kleine Unterbrechung feiern wir heute Abend Gottesdienst. Wir würdigen, was war, spüren den Spuren Jesu in unserem Leben nach. Wir lassen uns von Gott zusprechen, dass er auch 2021 da ist, und gewinnen Vertrauen, den Schritt über die Linie von 24 Uhr zu setzen. Bei einer „Stille im Advent“-Andacht saß ich vor einigen Wochen in der ersten Kirchenbank. Die Musik spielte leise im Hintergrund, meine Gedanken gingen spazieren und fanden schließlich Halt am Banner mit der Jahreslosung, das das ganze Jahr schon an der Altarwand hängt: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Markus 9,24) Immer wieder hatte ich mir in den vergangenen Monaten das Motiv angeschaut, das mich an manchen Alptraum erinnert. Ich bin irgendwo weit nach oben geklettert und komme nun nicht mehr weiter. Weder kann ich zurück noch kann ich nach oben klettern oder über einen Graben hinüberspringen. Die Lage ist aussichtslos, ich habe Angst – und wache dabei gnädigerweise immer auf. Der Absturz bleibt mir erspart. Das Banner zeigt genau dieses Motiv. Ein Mensch steht auf einer Stele, die weit in den Himmel ragt. Unter ihm sind Wolken, eine Sonne am Horizont gibt Licht. Seine Arme sind ausgebreitet. Ist er bereit zum Sprung? Oder ist es eine Geste der Verzweiflung und des Schreis nach Hilfe? Wer ist dieser Mensch, der da oben steht und nicht weiterkommt, der in seinem eigenen Alptraum gefangen ist? Die Jahreslosung ist einer Jesus-Begegnung entnommen. Markus 9,20-27
Der Sprung
Der Vater hatte wohl von Jesus gehört. Er griff nach dieser vielleicht letzten Möglichkeit. Zunächst traf er nur ein paar Jesusjünger an und musste mal wieder feststellen, dass auch sie ihm nicht helfen konnten. Und nun steht Jesus selbst vor ihm. Der Vater breitet die Arme aus, schreit: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ und stürzt sich buchstäblich in die Arme Jesu. Es ist eine Bankrotterklärung. Er kann nicht mehr. Er hätte so gerne ein festes Vertrauen, eine Gewissheit, dass Jesus ihn auffängt, aber da ist nichts, nur Verzweiflung und eigene Hilflosigkeit. Ich kenne solche Schreie. Ich traue Jesus zu, dass er Wunder tut. Aber bei dem Menschen, den ich begleite? Warum gerade bei ihm? Jesus hatte auch nicht alle Kranken geheilt, die damals in Israel lebten. Ich traue Jesus zu, dass er mich auffängt. Aber haben das nicht auch andere geglaubt und sind hart auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen? Ich traue Jesus zu, dass er Wunder tut. Aber was, wenn sie ausbleiben? Ist es nicht besser, erst gar nicht darauf zu hoffen? Der Vater springt in Jesu Arme, obwohl er all die Zweifel sicher auch in sich trägt. Aber er versucht, Antworten zu bekommen. Er wagt es, alles auf eine Karte zu setzen. Worauf es ankommt
Ein Jahr habe ich nun durchbuchstabiert, mich in Jesu Arme fallen zu lassen. Es gab genug Situationen, in denen ich nicht weiterkam, ja, wir nicht weiterkamen. Da waren persönliche Notlagen: Krankheiten, Tod, bedrängende Arbeitssituationen, Kurzarbeit und Kündigung, Streit, Beziehungsabbrüche. Da war Corona: Kontaktbeschränkungen, was lieb und teuer war, ging nicht mehr, so wie Gemeinschaft, Feiern, Singen, unbeschwertes Miteinander von Angesicht zu Angesicht ohne Bildschirm dazwischen. Da waren politische Verunsicherungen und Verwerfungen: die Klimakrise und die abgeholzten Taunus-Fichten, die US-Wahlen, der Brexit. Da waren gesellschaftliche Spaltungen: Demonstrationen und Gesprächsabbrüche, Rechtsextremismus und Uneinigkeit über Strategien in der Krise. Da war und ist die Angst vor der Zukunft. Ich glaube und vertraue, dass Jesus kann. Wie der Vater damals kann ich nur beten: „Jesus, hilf mir, dass ich dir auch in meinem Leben vertrauen kann. Hilf mir, dass ich mich in deine Arme fallenlasse, auch wenn ich diese Arme vor lauter Wolken um mich herum nicht sehen kann. Hilf mir, dass ich ins neue Jahr mit Zuversicht gehe, denn du begleitest mich und hast deinen Notfallkoffer immer dabei.“ Rückschau
Von einer Tageszeitung wurde ich letzte Woche angeschrieben. Es ging wohl um einen Artikel, wie die Kirchen in diesem Jahr zurechtgekommen sind. Ich wurde gefragt, was wir Neues entdeckt hätten. Da fiel mir einiges ein: Die Videogottesdienste, die uns nun seit März mit einer großen Internet-Gemeinde verbunden sein lassen, das Video-Bibelgespräch, das mit unterschiedlichen Jahrgängen der Teilnehmenden und von vielen Orten aus neue Möglichkeiten erschließt, Briefe und Rundmails, die uns viel intensiver in Kontakt sein lassen, als wir es sonst mit unserem wöchentlichen Treffen im Gottesdienst gewohnt waren. Wir haben uns durch dieses Jahr geschlängelt und dabei erlebt, wie Jesus uns Gemeindeleben ermöglichte und uns half, neue Wege auszukundschaften. Vorschau
„Alle, die auf den HERRN vertrauen, bekommen immer wieder neue Kraft, es wachsen ihnen Flügel wie dem Adler. Sie gehen und werden nicht müde, sie laufen und brechen nicht zusammen.“ (Jesaja 40,30) Cornelia
Trick
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