Gottesdienst am 22.3.2020
in Brombach, wegen der Corona-Pandemie ohne anwesende Gemeinde
Liebe Gemeinde,
was ist in diesen Tagen
am wichtigsten? Darauf gibt es gerade viele Antworten:
-
gesund bleiben,
-
genug Vorräte im Haus
haben,
-
Freunde haben, die einem in
der Not etwas vorbeibringen können,
-
ein gutes finanzielles Polster
sichern, um Ausfälle zu überstehen,
-
das Leben so organisieren,
dass Familie, Beruf, Haushalt irgendwie unter einen Hut gebracht werden
können.
Ja, das ist alles wichtig
und wird uns helfen, die Corona-Wochen zu überstehen. Aber helfen
uns diese Maßnahmen, unseren Lebensmut zu behalten, unsere Zuversicht
und Kraft?
Vielleicht suchte auch
ein Schriftgelehrter in Jerusalem Antwort auf diese Frage. Er hatte Jesus
beobachtet, seine Reden gehört, ihn in Auseinandersetzungen mit Gegnern
erlebt. Jetzt trat er selbst an Jesus heran, nicht feindselig, sondern
ehrlich interessiert, so schildert ihn uns der Evangelist Markus.
Markus 12,28-34
Ein Schriftgelehrter war
dazugekommen und hatte die Auseinandersetzung mit angehört. Als er
merkte, wie treffend Jesus den Sadduzäern geantwortet hatte, fragte
er ihn: »Welches Gebot ist das wichtigste von allen?« Jesus
antwortete: »Das wichtigste Gebot ist dieses: ›Höre, Israel!
Der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen
Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem
ganzen Willen und mit deiner ganzen Kraft.‹ Das zweite ist: ›Liebe deinen
Mitmenschen wie dich selbst.‹ Kein anderes Gebot ist wichtiger als diese
beiden.« Da antwortete ihm der Schriftgelehrte: »Ja, Lehrer,
du sagst die Wahrheit: ›Einer ist Gott, und es gibt keinen anderen Gott
außer ihm. Ihn zu lieben mit ganzem Herzen, mit ganzem Verstand und
mit ganzer Kraft und seinen Mitmenschen zu lieben wie sich selbst‹, das
ist viel wichtiger als alle Brandopfer und anderen Opfer.« Als Jesus
merkte, mit wie viel Einsicht der Schriftgelehrte geantwortet hatte, sagte
er zu ihm: »Du bist nicht weit weg vom Reich Gottes.«
Gott lieben
Meine Opas habe ich nie
kennengelernt. Einer starb kurz nach dem 2.Weltkrieg, der andere, als ich
ein halbes Jahr alt war. In unserer Wohnung hingen Bilder der Beiden und
meine Eltern erzählten von ihnen. Würde mich jemand nach meinen
Opas fragen, hätte ich schöne Geschichten von ihnen parat, könnte
auch sagen, dass es für mich besondere Menschen waren, obwohl ich
sie nie kennenlernte. Aber ich könnte nicht sagen, dass ich sie liebe,
wir hatten ja keine Beziehung zueinander. Ganz anders sieht es da mit meinen
Omas aus, die ich aus vollem Herzen liebte, sie waren ein Teil meines Lebens.
An diesem Beispiel wird
deutlich, dass wir nur jemand lieben können, zu dem wir eine Beziehung
haben. Und wie bei den Großeltern, die normalerweise dem Enkel ihre
Liebe vorauseilend entgegenbringen, so schenkt uns Gott seine Liebe im
Voraus, bevor wir darauf antworten können. Gott zu lieben wird nicht
von Menschen erwartet, die Gott noch nie erlebt haben, sondern ist Folge
von einer Gottesbegegnung.
Darum geht es beim Wichtigsten
im Leben. Wir brauchen eine Liebesbeziehung zu Gott. Hat er sich uns zu
erkennen gegeben? Ist er uns begegnet? Können wir seine Handschrift
auf unserem Lebensweg erkennen? Schreiben wir ihm zu, wenn wir bewahrt
wurden, besondere Führungen erlebt haben, uns vergeben wurde? Wenn
ja, wird aus dieser Beziehung Liebe wachsen.
So antwortet Jesus dem
Schriftgelehrten auf seine Frage nach dem Wichtigsten, dass er Gott lieben
soll:
-
mit ganzem Herzen. „Mit ganzem
Herzen dabei“ bin ich zum Beispiel, wenn ich mit einer Freundin beim Kaffeetrinken
zusammensitze, jetzt leider nicht möglich. Sie erzählt mir, was
sie beschäftigt, wir tauschen uns aus, und in diesen Momenten möchte
ich nirgends anders sein als gerade da. Mit ganzem Herzen Gott lieben,
bedeutet in seiner Nähe anzukommen und nicht in Gedanken zu 100 anderen
Sachen abzuschweifen. Mich zu freuen, dass er mir jetzt begegnet – beim
Beten, Spazierengehen, Lesen, Musizieren und Musik Hören – und mir
jetzt zu Herzen geht.
-
mit ganzer Seele. Ich stelle
mir vor, dass sich meine Seele in einem verschlossenen Tresor in meinem
Inneren befindet. Nur ich habe den Schlüssel. Und oftmals lasse ich
die Seele weggeschlossen, gehe über sie hinweg, überhöre
ihre Signale und Hinweise. Manchmal verkrieche ich mich in den Tresor,
spüre die Schrammen und Dellen, die das Leben ihr zugefügt hat,
überdeutlich. Gott mit der Seele zu lieben, fordert mich auf, Gott
die Tür des Tresors aufzuschließen, ihn hineinzulassen und ihn
da wirken zu lassen. Er wird mir bewusst machen, was mein Innerstes braucht,
Gewissheit, Geborgenheit, Sicherheit in diesen Tagen, Zuversicht und Widerstandskraft,
Heilung und Mut. Er wird nicht lockerlassen, bis ich mit ihm diesen Schatz
in meinem Inneren betrachte und für den Seelen-Schatz mit seiner Hilfe
sorge.
-
mit meinem Willen. Meine Topfpflanzen
richten sich automatisch nach dem Licht aus. Alle paar Wochen drehe ich
sie, um eine gewisse Symmetrie herzustellen. Wir Menschen richten uns nicht
automatisch nach unserer Lebensquelle aus. Wir müssen es bewusst tun.
Womit füttere ich meinen Verstand? Woher nehme ich meine Nahrung für
die Seele? Mit welchen Menschen umgebe ich mich? Wen wähle ich mir
zum Vorbild? Das sind Fragen, die meinen Willen, meine Entscheidungen betreffen.
Ein Stück weit habe ich es selbst in der Hand, die Beziehung zu Gott
zu stärken.
-
mit ganzer Kraft. In meiner
Schulzeit malten wir Herzchen auf unsere Schulbänke, wenn wir verliebt
waren. Gott zu lieben ist mehr, als Herzchen in unser Andachtsbuch zu malen.
Die Liebe äußert sich konkret, und damit kommen wir zum zweiten
Zeil der Antwort Jesu, was wirklich wichtig ist.
Mich selbst lieben
Die gefürchtetsten
Abschnitte auf unseren Bergtouren waren nicht lange Aufstiege in der prallen
Sonne oder steile Wände, die wir hochklettern mussten, sondern die
schmalen Gipfelgrate. Da zog es mich fast magisch entweder nach links oder
nach rechts in die Tiefe, und ich musste meine ganze Konzentration aufbringen,
um nicht herunterzufallen.
Die Selbstliebe ist eine
solche Gratwanderung. Auf der einen Seite droht der Absturz, wenn ich mein
Selbst am liebsten durchstreichen würde. Keiner mag mich, ich bin
nicht liebenswert, habe keinen Platz auf dieser Welt. Es wäre besser,
wenn es mich nicht gäbe. Auf der anderen Seite droht die Überhöhung
des Ego. Ich bin die Beste, ich stehe im Zentrum der Welt, ich zuerst.
Auf diesem Grat zu balancieren
und nach keiner Seite abzustürzen, ist Geschenk Gottes und braucht
Übung. Ich mache mir jeden Tag bewusst, dass es Gottes Liebe ist,
die mich am Leben hält, dass er es gut mit mir meint und deshalb niemand
das Recht hat, mir zu schaden, und dass ich diese Welt nicht ohne meine
Mitmenschen bewegen kann. Meine Nächsten ergänzen meine Leer-
und Schwachstellen und sind ihrerseits auf mich angewiesen. So kommen wir
zum dritten Teil von Jesu Antwort.
Den Nächsten, die
Nächste lieben
In dieser Krise werden
wir von höchster politischer Stelle dazu ermahnt, den Blick auf unsere
Mitmenschen zu richten. Deutlicher als in vergangenen Zeiten erkennen wir,
dass Egoismus tödliche Folgen haben kann. Wer meint, sich trotz Risiko
in Menschenmengen bewegen zu dürfen, einfach weil er es kann, schadet
seinen Mitmenschen. Wer dagegen den Blick für die Nächsten hat,
wird zuhause bleiben, auch wenn er oder sie sich topfit fühlt.
Dies ist keine spezifische
Jesus-Erkenntnis, sondern gesunder Menschenverstand. Was Jesus allerdings
neu hinzubringt, ist der Radius, in dem wir Nächsten begegnen. Es
sind eben nicht nur Familienangehörige, Nachbarn, Kollegen oder Freunde,
sondern
-
es sind Fremde auch aus anderen
Ländern und Kulturen, wie der Überfallene ein Fremder für
den Samariter war (Lukas 10,29-37),
-
es sind Feinde, von denen
Jesus sagt, dass wir sie lieben und segnen mögen, statt über
sie zu fluchen (Matthäus 5,44-45),
-
es sind Ausgegrenzte und von
der Gesellschaft Aufgegebene wie die Kranken, Prostituierten und Geächteten,
denen Jesus nahe war (Lukas
7,36-50).
Wenn wir uns heute überfordert
fühlen, für unsere Mitmenschen Einschränkungen unserer Versammlungs-
und Bewegungsfreiheit hinzunehmen, dann ist das erst der Anfang der Nächstenliebe.
Sie geht weiter und entgrenzt, sogar Stacheldrähte in Griechenland
und soziale Schranken, die unüberwindlich erscheinen.
Vielleicht ist es in diesen
Tagen schwierig, über den eigenen Horizont hinaus diese Liebe zu praktizieren,
doch es werden bald andere Zeiten kommen, wo Menschen in unserem Umfeld
Geld brauchen, Unterstützung, eine sichere Hand, weil sie aus dem
Corona-Tal nicht allein herauskommen. Dann schlägt unsere Stunde,
die wir über ein unbegrenztes Potential Liebe verfügen. Das Potential
wird in unserer Beziehung zu Gott immer nachgefüllt.
Der Schriftgelehrte war
auf der Suche. Was ist das Wichtigste in meinem Leben? Was rette ich aus
den Flammen, wenn mein Lebenshaus brennt? Jesus antwortete ihm und uns:
-
Gott liebt dich, deshalb antworte
darauf, bleib mit ihm in Beziehung.
-
Liebe dich selbst und lebe
mit dieser Überschrift: „Gott liebt mich ohne alles Wenn und Aber“.
-
Liebe deinen Mitmenschen,
egal ob nah oder fern, nett oder doof.
Dann wirst du spüren,
wie Gott dir alles gibt, was du dazu brauchst, denn die Beziehung zu ihm
ist das Wichtigste in deinem Leben.
Cornelia
Trick
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