Gottesdienst für
den 7.3.2021 in Brombach, wegen des Lockdowns ohne anwesende Gemeinde
Liebe Gemeinde,
schon einige Jahre lebt
ein kleines Orangenbäumchen in unserem Haushalt. Die Winterwochen
sind immer ein Problem. In den letzten Jahren fand das Bäumchen bei
einer Freundin im Wintergarten Unterschlupf, aber nun wurde es zu groß
für den Transport. Ich versuchte es selbst, durch den Frost zu bringen.
Doch es hat leider stark gelitten und sieht nun richtig gerupft aus. Während
der ersten Sonnentage inspizierte ich es mehrmals täglich. Zeigte
sich da schon irgendwo erstes Grün?
Was ich mit unserem Orangenbäumchen
erlebe, ist ein gutes Beispiel für unseren Alltag. Haben wir da nicht
auch solche dürren Bereiche, für die wir uns neues Leben erhoffen?
Wünschen wir uns nicht auch, dass Notsituationen nicht ewig währen?
Dass es von irgendwoher einen Schub nach vorne gibt?
Wir werden heute eine Frau
am wohl entscheidendsten Tag ihres Lebens begleiten. Und wir werden an
ihr sehen, wie Jesus sich um unsere ganz persönlichen Sehnsüchte
kümmert, sie sieht und darauf reagiert.
Das Zusammentreffen Jesu
mit dieser Frau fällt etwas aus dem Rahmen, denn vor Jesu Handeln
gibt es kein Gespräch von Angesicht zu Angesicht, keine Bitte der
Frau an Jesus, keine Frage, die Jesus an die Frau richtet, etwa die „Was
soll ich für dich tun?“
Markus 5,24-34
Jesus ging mit Jaïrus.
Die ganze Volksmenge folgte ihm und umdrängte ihn. Es war auch eine
Frau dabei, die seit zwölf Jahren an Blutungen litt. Sie hatte bei
vielen Ärzten viel durchgemacht und alles dafür ausgegeben, was
sie besaß. Aber es hatte nichts genützt, sondern die Blutungen
waren nur noch schlimmer geworden. Die Frau hatte von Jesus gehört.
Sie drängte sich in der Volksmenge von hinten an ihn heran und berührte
seinen Mantel. Sie sagte sich: »Wenn ich nur seinen Mantel berühre,
werde ich gesund.« Im selben Augenblick hörte die Blutung auf.
Sie fühlte in sich, dass sie von ihrem Leiden geheilt war. Jesus merkte
sofort, dass Kraft von ihm ausgegangen war. Er drehte sich in der Volksmenge
um und fragte: »Wer hat meinen Mantel berührt?« Seine
Jünger antworteten ihm: »Du siehst doch, wie die Volksmenge
sich um dich drängt. Und da fragst du: ›Wer hat mich berührt?‹
Doch Jesus sah umher, um festzustellen, wer es gewesen war. Aber die Frau
fürchtete sich und zitterte. Sie wusste ja, was mit ihr geschehen
war. Sie trat vor, warf sich vor ihm nieder und erzählte ihm alles.
Er aber sagte zu ihr: »Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh
in Frieden. Du bist endgültig von deinem Leiden befreit.«
„Wenn ich nur seinen Mantel
berühre“
Ausführlich wird
die Krankengeschichte der Frau erzählt. Zwölf Jahre litt sie
an fortwährenden Blutungen. Ihre finanziellen Ressourcen waren durch
unzählige Behandlungen aufgebraucht. Da menstruierende Frauen als
unrein galten und man sie nicht berühren konnte, ohne selbst mindestens
bis zum Abend als unrein zu gelten, lebte sie allein und isoliert. Als
Jesus, von dem sie schon gehört hatte, auftauchte und der Vater eines
kranken Mädchens, Jaïrus, Jesus um Hilfe bat, stand sie außerhalb
der Menge. Sie musste sich erst einen Weg durch die Menschen bahnen. „Würde
Jesus mir helfen können?“, so dachte sie vielleicht, „ach, könnte
ich doch wenigstens einen Zipfel seines Mantels anfassen, vielleicht würden
magische Kräfte von ihm überfließen.“
Zwei Aspekte fallen mir
auf:
Das Vorgehen dieser Frau
erinnert mich an manche Rituale. Im Petersdom steht eine Bronzestatue,
die den Heiligen Petrus darstellt. Seit dem Mittelalter berühren Pilger
den rechten Fuß und erhoffen sich davon Glück im Leben. Auch
wir liefen an dieser Figur vorbei, der Fuß ist vor lauter Berührung
schon fast unkenntlich geworden. Man erhofft, dass die Kraft Jesu, die
in Petrus war, durch die Statue ins eigene Leben übergeht. Dachte
auch die Frau damals so? Vielleicht, wir wissen es nicht.
Doch die Erzählung
gibt uns noch eine andere Erkenntnis. Die Frau hatte vorher schon von Jesus
gehört. Kurz vorher erzählte Jesus ein Gleichnis von einem Acker,
auf dem Samen gesät wurden. Dreiviertel der Saat fielen auf unbrauchbaren
Boden, ein Viertel ging auf und brachte viel Ernte. Der Samen, so Jesus,
ist das Wort Gottes, das in Herzen fällt. Diese Frau, die hier ihren
Weg zu Jesus suchte, hatte einen fruchtbaren Boden in ihrem Herzen. Sie
hörte von Jesus und gewann Vertrauen zu ihm. Sie nahm es für
sich persönlich, dass Jesus von der neuen Welt sprach, die mit ihm
anbrach: dass sie eine geliebte Tochter Gottes war, obwohl ihre Krankheit
sie ins Abseits stellte. Dass sie dem Guten Hirten folgen konnte, der sie
auch durch tiefe Täler sicher führte. Und so näherte sie
sich Jesus, um diese Verbindung zeichenhaft deutlich zu machen. Natürlich
hoffte sie darauf, dass Jesus sie gesund machte. Zu dieser neuen Welt gehörte
es ja, in der Gottesgemeinschaft zu sein und nicht außerhalb stehen
zu müssen. So berührt die Frau den Saum von Jesu Mantel und nimmt
damit das Beziehungsangebot Jesu an. Sie vertraut sich Jesus an, um die
neue Welt Gottes zu erleben.
Die Berührung ist
kein magischer Vorgang, sondern die Antwort auf Jesu Angebot. Sie schlägt
in die bildlich gesprochen ausgestreckte Hand Jesu ein: „Ja, ich will es
wagen, mich dir anzuvertrauen.“
Jesus setzt sich von der
Definition, was rein und was unrein ist, ab. Nach damaligem Verständnis
wäre der Vorgang so gelaufen. Die Frau hätte Jesus berührt
und ihn mit ihrer Unreinheit angesteckt. Er wäre bis zum Abend sozusagen
in Quarantäne gewesen, hätte sich nicht in der Synagoge sehen
lassen dürfen. Doch genau das Gegenteil ist passiert. Jesus steckte
die Frau mit seiner Reinheit an. Seine Reinheit – sein reines Herz, das
im Einklang mit Gottes Willen war – veränderte die Frau, ließ
ihren Blutfluss stoppen und holte sie zurück in die Gottesgemeinschaft.
Eine offensive Kraft ging von Jesus aus, die Licht ins Dunkel trug und
Krankheit besiegte. Mit Jesus verbunden, war die Frau im Licht und rein.
„Wer hat meinen Mantel
berührt?“
Jesus spürt die Berührung,
es kommt nun doch zur Begegnung. Die Frau gibt sich voller Furcht zu erkennen.
Sie vertraut Jesus, aber weiß ja nicht, wie er auf sie reagieren
würde. Für sie völlig verblüffend fährt Jesus
sie nicht an, weist sie nicht in die Schranken, sondern bestätigt
liebevoll ihren Glauben. Sie hatte richtig gehandelt und wurde gerettet,
wieder hineingenommen in die Familie des himmlischen Vaters.
Gerettet zu sein ist mehr
als gesund zu sein. Wäre sie nur gesund geworden, hätte sie genau
das Leben wie vor zwölf Jahren wieder aufnehmen können. Als Gerettete
hatte sich etwas Grundlegendes geändert. Sie gehörte nun zu Gottes
Familie und bekam als Tochter Gottes einen neuen Lebensabschnitt geschenkt.
Egal, was noch passierte, sie war nie mehr von Gottes Liebe ausgegrenzt,
die Heimat bei ihm war ihr sicher.
Was lernen wir aus dieser
Begegnung?
-
Eine Beziehung zu Jesus beginnt,
wenn ich von Jesus höre. Jesus selbst weckt die Sehnsucht, ihn zu
treffen.
-
Mit meiner Not muss ich nicht
allein und isoliert bleiben. Wie die Frau kann ich mir auch selbst einen
Weg zu Jesus bahnen, initiativ werden, um ihn zu finden.
-
Sein Gewand zu berühren,
bedeutet für mich, dass ich mich in seinen Einflussbereich begebe.
Vor gut einem Jahr hätte ich gesagt: Geh in einen Gottesdienst, schließe
dich einer Gemeinde oder einer Kleingruppe von Christen an, besuche ein
christliches Konzert, eine Freizeit, misch dich unter Christen. Das klappt
gerade nicht so gut. Doch Jesus bleibt dennoch berührbar, im Internet
gibt es viele Angebote, das Telefon tragen wir meistens ganz dicht bei
uns, online gibt es gute Möglichkeiten, auch in virtueller Gemeinschaft
mehr von Jesus zu erfahren. Eigentlich ist es in diesen Zeiten sogar leichter,
mit Jesus in Berührung zu kommen. Wir müssen nicht an einem besonderen
Ort sein, können dabei zuhause bleiben, müssen noch nicht mal
besondere Uhrzeiten beachten.
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Rettung ist mehr als gesund
zu werden, und sie gilt eben auch denen, die von ihren körperlichen
und seelischen Leiden nicht befreit sind, obwohl sie Jesus vertrauen. Von
Jesus gerettet zu werden, heißt, ihn immer an der Seite zu wissen,
und das zeigt sich eben in Heilungen, besonderen Lebensführungen,
aber auch in Zuversicht, die er auch in dunklen Tälern schenkt.
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Manchmal braucht es ein Bindeglied
zwischen Jesus und einer suchenden Person. Dieses Bindeglied kann ich sein:
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Ich kann meiner Bekannten
von meiner Erfahrung mit Jesus erzählen, wenn Jesus mir den Impuls
dazu gibt. Dann hört die Person von Jesus eben durch meine Vermittlung.
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Ich kann jemand an die Hand
nehmen und ihm helfen, den Weg durch die Menge zu bahnen, um in Jesu Einflussbereich
zu kommen.
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Jesus stattet mich mit seiner
Kraft aus, die wird überspringen und meine Mitmenschen erreichen.
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Schon eine kleine Berührung
reicht, um Leben zu verändern. Einen Moment der Offenheit kann Jesus
nutzen, um das Herz zu wärmen und den Rettungsring zuzuwerfen. Um
diese Momente bei unseren Mitmenschen können wir beten.
„Jesus,
berühre mich!“, diesen Wunsch hatte die
Frau, und sie trat mutig an Jesus heran und holte sich diese Berührung
ab. Diese Frau aus ferner Zeit fordert uns heraus, uns einen Weg zu suchen,
um Jesus näher zu kommen und ihn machen zu lassen. Er weiß,
was wir brauchen.
Cornelia
Trick
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