Schläft Jesus? (Markus 4,35-41)
Gottesdienst am 10.5.2020 in Brombach

Liebe Gemeinde,
letzte Woche hatte ich mit Kollegen eine Videokonferenz. Das letzte Mal trafen wir uns an einem Tisch am 12. März, einen Tag vor dem Beschluss, alle Kirchen zu schließen. Wir erinnerten uns, wie wir damals über unsere Gemeindeaktionen redeten, besondere Gottesdienste besprachen und unsere Urlaubspläne austauschten. Wir wussten schon um Corona, aber wir konnten uns nicht vorstellen, dass das Virus unsere Gemeindearbeit so radikal ändern würde, unsere Jahrespläne direkt in den Mülleimer beförderte. Wir dachten auch, dass Jesus schon dafür sorgen würde, dass seine Gottesdienste stattfinden konnten. Er weiß doch, wie wichtig für Christen Gemeinschaft ist. Er sieht doch unsere Projekte. Er weiß um die, die neu dazu gekommen sind und die Gemeinde brauchen.

Doch Jesus griff nicht ein. Die Kirchen wurden am nächsten Tag geschlossen. Wir hatten keinen Plan B in der Hand, sondern tasten uns seither vorsichtig von Tag zu Tag.

Was wir als Gemeinden erlebt haben, können viele in ihrem eigenen Leben nachvollziehen. Die Älteren, die wochenlang in ihren Seniorenheimen isoliert waren, die Schüler zuhause und die Eltern im Dauerstress, alles unter einen Hut zu bekommen, die Kurzarbeitenden oder die, die noch nicht einmal Kurzarbeitergeld bekommen, am Rande der Existenz. Und ganz persönliche Vorhaben waren dahin und verplatzten wie eine Seifenblase, unser Neffe zum Beispiel musste seine Hochzeit absagen.

Und Jesus? Hätte er uns nicht davor bewahren können?

Eine Situation während seiner Wirkungszeit in Galiläa greift genau diese Frage auf. „Jesus, wo bist du? Schläfst du etwa, während wir um unser Überleben kämpfen?“

Die Jünger waren schon den ganzen Tag mit Jesus am See Genezareth. Er stand in einem Boot am Ufer, die Leute lagerten um ihn herum am Strand. Jesus erzählte ihnen von Gott. Wie er ihnen Liebe schenken wollte, wie diese Liebe sich in ihrem Herzen entfalten konnte, wie ihr Leben erfüllt würde mit Gottes Kraft. Nach einem langen Tag war es Abend geworden, man brach langsam auf, die einen auf dem Landweg, die anderen mit dem Boot. 

Markus 4,35-41
Am Abend dieses Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Wir wollen ans andere Ufer fahren.« Sie ließen die Volksmenge zurück. Dann fuhren sie mit dem Boot los, in dem er saß. Auch andere Boote fuhren mit. Da kam ein starker Sturm auf. Die Wellen schlugen ins Boot hinein, sodass es schon volllief. Jesus schlief hinten im Boot auf einem Kissen. Seine Jünger weckten ihn und riefen: »Lehrer! Macht es dir nichts aus, dass wir untergehen?« Jesus stand auf, bedrohte den Wind und sagte zu dem See: »Werde ruhig! Sei still!« Da legte sich der Wind und es wurde ganz still. Und Jesus fragte die Jünger: »Warum habt ihr solche Angst? Wo ist euer Glaube?« Aber die Jünger überkam große Furcht. Sie fragten sich: »Wer ist er eigentlich? Sogar der Wind und die Wellen gehorchen ihm.«

Die Jünger im Boot
Jesus gibt den Auftrag, ans andere Seeufer zu rudern, und alle Jünger steigen zu ihm ins Boot und legen los. Sie verfolgen keinen eigenmächtigen Plan, sondern gehorchen Jesus. 

Ein Freund von mir hatte den ganz deutlichen Hinweis Jesu gehört, eine neue Arbeitsstelle anzunehmen. Er sagte: „Jesus hat mir klar gesagt, dass er mich dort braucht, also gehe ich.“ Das gab ihm ein großes Sicherheitsgefühl. Er fühlte sich nicht allein im Boot, sondern Jesus war dabei. Er vertraute darauf, dass es bei dieser neuen Arbeitsstelle gut für ihn werden würde. 

Wenn ich morgens meinen Tag mit Jesus beginne, dann weiß ich mich in seiner Nähe geborgen. Ich klettere bildlich gesprochen zu ihm ins Boot. Er wird mich bewahren, mir helfen, mit ihm kann mir nichts passieren, so mein Gefühl.

Der Sturm
Doch bald schon fühlten sich die Jünger nicht mehr sicher. Ein Sturm zog auf. Der See Genezareth ist bekannt für seine plötzlichen Fallwinde, in Minuten wird aus dem friedlichen Gewässer ein tosendes Meer. Das Boot geriet in Schieflage. Wasser kam von unten und von oben, es lief voll. Ich stelle mir vor, wie einige Jünger nach allem Eimer-Ähnlichen griffen und mit ganzer Kraft das Wasser aus dem Boot schöpften. Andere hielten die Ruder fest und passten auf, dass keiner über Bord ging. Das Ganze geschah in der Dunkelheit der anbrechenden Nacht und des Unwetters. Sie fühlten sich den Naturgewalten ausgeliefert. Und Jesus? Wo war der eigentlich? Sie entdeckten ihn im Heck des Schiffes, ein bisschen erhöht, sodass er nicht nass wurde, schlafend auf einem Matrosenkissen. Sie riefen gegen den Sturm an: „Jesus, warum schläfst du? Siehst du nicht unsere Not?“

Wir sind nicht im Seesturm auf dem See Genezareth. Aber die Lage wird uns nicht unbekannt sein. Der Freund erlebte am neuen Arbeitsplatz schwierige Situationen. Ohne seinen Auftrag erfolgreich zu beenden, musste er die Firma wieder verlassen. Es beschäftigte ihn stark, dass er um Jesu Zusage wusste und sich doch allein gefühlt hatte. 

Die Tage des Corona-Ausnahmezustands sind auch wie ein Seesturm über uns hereingebrochen. Unser sicherer Boden kam ins Wanken. Unsere Pläne waren dahin. Das Auskommen von vielen ist unsicher geworden. Unsere sozialen Beziehungen liegen auf Eis. An kommunikatives Gemeindeleben ist bis jetzt nicht zu denken. Wir sind beschäftigt damit, unser Boot auf Kurs zu halten, uns festzuhalten und den Sturm irgendwie zu überstehen.

Und Jesus? Schläft er?

Jesus im Boot
Jesus schläft, aber nicht, weil er uns allein lässt nach dem Motto: „Ich bin dann mal weg“. Er schläft, weil er sich sicher weiß in Gottes Hand. Er vertraut seinem himmlischen Vater. Der wird für ihn und seine Freunde im Boot sorgen. Der wird ihm die nötige Vollmacht geben, dem Sturm Einhalt zu gebieten, wenn es nötig ist. 

Jesus vertraut auch seinen Freunden. Einige von ihnen sind gelernte Fischer. Sie kennen den See in- und auswendig. Sie wissen, was man bei einer solchen Bedrohungslage tut. Bei ihnen ist er in besten Händen.

Ich kenne diesen Vertrauens-Schlaf. Sehr gerne fahre ich Bahn und mache da auch gerne ein Nickerchen. Die Bahn rollt auf Schienen, kein Gegenverkehr ist zu erwarten, der Lokführer hat alles im Griff, ich kann entspannt wegdösen. Ganz anders, wenn ich als Beifahrerin im Auto mitten im Berufsverkehr sitze. Ich kann dem Fahrenden nicht helfen, aber ich bin angespannt, verfolge die Verkehrslage, achte auf Ampeln und Blitzer. An Schlaf ist nicht zu denken.

Wir sehen Jesus im Boot schlafen, er ist nicht desinteressiert, sondern ist ganz da. Er vertraut und wird uns damit zum Vorbild, wie wir die Stürme des Lebens überstehen können, tief verankert in Gottes Liebe. 

Jesus traut uns zu, dass wir unseren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten können. Er bewahrt uns nicht vor jeder Not, lässt uns nicht als seine Marionetten über den aufgepeitschten See schweben, als ob nur die anderen Stürme zu erleiden haben. Er lässt uns machen, aber greift ein, wo die Not zu groß wird. Er zeigt sich in unserer Schwäche und hilft uns, die Stürme zu durchstehen. Er verspricht uns nicht auf Dauer eine ruhige See. Die wird es erst in der Ewigkeit geben. Bis dahin müssen wir immer wieder damit rechnen, urplötzlich aus der Bahn geworfen zu werden. 

Was wir lernen
Jesus fragt die Jünger: „Warum habt ihr solche Angst? Wo ist euer Vertrauen?“ Wir dürfen unsere Angst und Sorge zugeben. Wir sollen damit zu Jesus kommen. Wir können beten: „Herr, du siehst uns in diesen Tagen, die Not, die Furcht, dass wir untergehen.“ Wir können an Jesus rütteln, ihn bestürmen mit unserer Bitte um Hilfe. Darauf wartet er. Und wir können von ihm lernen, Gott so zu vertrauen, dass wir sogar im Sturm schlafen können. Jesus sagt uns zu: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Er steht zu seinem Wort. Wie er in diesem Seesturm die Nähe Gottes erlebt hatte, so dürfen wir uns seiner Nähe sicher sein. Er erwartet von uns, dass wir aktiv werden. Was wir selbst tun können, sollen wir tun. Die Eimer Wasser können wir schöpfen. Uns um unsere Nächsten kümmern, für sie etwas tun, ihnen vielleicht auch finanziell unter die Arme greifen, das traut Jesus uns zu. Auch uns an die Regeln halten, Abstand wahren und Geduld haben, sind durchaus Beiträge, die wir leisten können. Dabei sagt uns diese Begebenheit auf dem See vor langer Zeit, dass Jesus uns nicht untergehen lassen wird. Er hat Vollmacht, auch dieser Krise heute entgegenzutreten. Das dürfen wir ihm zutrauen und darum können wir ihn bitten.

Die anderen Boote
Am Anfang der Geschichte ist beiläufig erwähnt, dass noch andere Boote mit dem der Jünger unterwegs waren. Der Scheinwerfer des Evangelisten ist ganz auf das Boot gerichtet, in dem Jesus saß. Doch auch die anderen Boote werden den Sturm und die Rettung miterlebt haben. Sie waren selbst betroffen, auch wenn Jesus nicht in ihrem Boot saß. Sie werden sich gewundert haben, als der Sturm plötzlich stoppte. Sie profitierten von den Jüngern und ihrer Jesusbeziehung.

Ich spinne für mich die Geschichte weiter: Vielleicht haben ihnen die Jünger am anderen Seeufer von Jesus erzählt, seinem Schlaf, seinem Vertrauen und seinem Machtwort. Vielleicht haben die Jünger sie neugierig darauf gemacht, Jesus ins eigene Boot einzuladen und ihn selbst zu erleben.

Das wäre doch schön, wenn unsere Mitmenschen durch uns von Jesus berührt würden und wir ihnen jetzt und später erzählen könnten, wie Jesus uns geholfen hat, diese schwere Zeit zu durchleben, und wie wir wieder neu erfahren haben, dass man ihm wirklich trauen kann.

Cornelia Trick


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Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
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