Gottesdienst am 20.9.2020
in Brombach
Liebe Gemeinde,
unser Nachbar hat einen
großen Hund. Als wir Sonntagmorgen zum Gottesdienst aufbrachen, lief
der Hund in vollem Tempo an uns vorbei. „Komisch“, dachte ich, „ich habe
ihn noch nie frei auf der Straße laufen sehen.“ Am nächsten
Morgen berichtete mir dann der Nachbar vom Sonntags-Drama. Ja, der Hund
war vorher noch nie weggelaufen. Er muss Panik bekommen haben, weil der
Nachbar für den Urlaub packte. Eine große Suchaktion startete
in den Straßen, im Feld und im Wald, sein Auto war über und
über mit Schlamm bespritzt, aber kein Hund war zu finden. Schließlich
half ein Anruf bei der Polizei, eine aufmerksame Wald-Spaziergängerin
hatte den Hund gefunden und mit zu sich genommen. Wohlbehalten konnte der
Nachbar ihn wieder in Empfang nehmen. Der Urlaub allerdings war nun Geschichte,
die Fähre auf eine Nordseeinsel war nicht mehr zu schaffen. Doch Hauptsache,
der Hund war wieder da!
Jesus erzählte ein
Gleichnis aus seiner Lebenswelt, er sprach nicht von Hunden, sondern von
Schafen. Entscheidend ist wohl nicht, ob Hund oder Schaf, sondern wieviel
wert uns das ist, was fehlt. Lassen wir Hund oder Schaf laufen, oder tun
wir alles, um sie wiederzufinden?
Das Gleichnis vom Verlorenen
Schaf, das Jesus erzählte, wird von zwei Evangelien, Lukas und Matthäus,
wiedergegeben. Bekannter ist die Lukas-Version, sie bringt es auf den Punkt:
Jesus sucht und findet. Matthäus wirft einen etwas anderen Blick auf
das Gleichnis, und es ist spannend, seinen Akzent zu entdecken.
Wer ist Gott wichtig?
Matthäus bettet das
Gleichnis in sein Gemeinde-Kapitel ein, in dem er beschreibt, wie Jesus
sich die nachösterliche Gemeinde vorstellt. Wer ist Gott wichtig?
Wer darf zur Gemeinde nach Jesu Auferstehung dazukommen? Jesu Freunde könnten
antworten: Die Größten, die Stärksten, die Wichtigsten,
die Glaubenshelden. Jesus sagt hier: Die Kleinen, Schwachen, Ausgegrenzten,
auf Hilfe Angewiesenen, die Kinder. Jesus stellt ein Kind in die Mitte
und nimmt es als Beispiel. Wie ein kleines Kind abhängig von den Eltern,
dankbar für Hilfe, vertrauensvoll ohne Hintergedanken ist, so sollen
Nachfolger Jesu sich sehen, abhängig von Gott, auf seine Hilfe hoffend
und bedürftig, vertrauensvoll, weil der Vater im Himmel für sie
da ist.
Als ob Jesus auch das Menschliche
in einer Gemeinde schon vorausgesehen hatte, warnte er, die „Kleinen“,
die auf Gott vertrauen, nicht zu entmutigen, sie nicht von Gott fortzutreiben,
ihre zarten Glaubensbande nicht zu zerreißen.
Matthäus 18,10-14
»Nehmt euch in Acht:
Ihr sollt keinen von diesen kleinen, unbedeutenden Menschen von oben herab
behandeln! Denn das sage ich euch: Ihre Engel stehen im Himmel direkt vor
meinem himmlischen Vater. Was meint ihr: Ein Mann besitzt hundert Schafe,
aber eines davon verläuft sich. Wird er dann nicht die neunundneunzig
Schafe im Bergland zurücklassen und losgehen, um das verirrte Schaf
zu suchen? Und wenn er es gefunden hat – Amen, das sage ich euch: Er freut
sich über dieses eine Schaf viel mehr als über die neunundneunzig
anderen Schafe, die sich nicht verlaufen haben. Genau das will euer
Vater im Himmel: Kein einziger von diesen kleinen, unbedeutenden Menschen
darf verloren gehen.«
Die Kleinen haben himmlische
Fürsprecher
Jesus kannte uns gut mitsamt
unserem Reflex des Radfahrens, nach oben zu buckeln, nach unten zu treten.
Wenn eine einflussreiche Person zur Gemeinde dazustößt, ist
man stolz und fühlt sich aufgewertet. Dass Hillary Clinton zur weltweiten
Evangelisch-methodistischen Kirche gehört, erzählen wir gerne.
Dass allerdings Max oder Erika Mustermann dabei sind, ist eher nicht der
Rede wert, der Alltag geht weiter. Wenn dann sogar jemand dazukommt, der
aus unserem bürgerlichen Raster fällt, rümpfen wir schon
mal die Nase, vielleicht riecht er auch nicht so angenehm.
Jesus gebrauchte eine damals
übliche Vorstellung, um den Ernst der Lage zu veranschaulichen. Man
ging davon aus, dass jeder Mensch einen persönlichen Schutzengel zur
Seite hatte, der für ihn eintrat und ihn mit Gott verband. Wurde also
ein „Kleiner“ schlecht behandelt, sandte sein Schutzengel einen Alarm zu
Gott. Jesus brachte damit zum Ausdruck, dass unser Verhalten Menschen gegenüber,
die uns scheinbar unterlegen sind, nicht egal ist oder ohne Konsequenzen
bleibt. Die Kleinen haben Fürsprecher bei Gott, Anwälte, die
für sie eintreten.
Jesus und sein Eintreten
für uns bei Gott stellt alle Vorstellungen von Schutzengeln in den
Schatten. Er hat uns zugesagt, alle Tage bei uns zu sein, und er vertritt
uns und unsere Anliegen vor Gott.
Das Miteinander in der
Gemeinde soll nicht von Einfluss, Geld und Können abhängen, sondern
sich durch Gemeinschaftsfähigkeit, Vergebungsbereitschaft, gegenseitige
Hilfe auszeichnen, es soll ein Netzwerk der Liebe und Fürsorge sein.
Handlungsanweisungen für
die Gemeinde
Das Gleichnis beschreibt
nicht die Ideal-Situation, dass alle glücklich beieinander sind, sich
umeinander kümmern, teilen, nach Gottes Willen leben. Es schildert
eher den Konfliktfall. Aus der Schafherde fällt ein Schaf heraus,
es „verläuft“ sich. Aus der Gemeinde Jesu fällt ein Mensch heraus.
Wir können dabei „Gemeinde“ weiter fassen. „Schafe“ sind nicht nur
Christen, sondern Menschen, für die Gott in die Welt gekommen ist.
Ein „verlorenes Schaf“ ist ein Mensch, der die Orientierung verloren hat.
Vielleicht ist er selbst weggelaufen, hat Sicherheiten aufgegeben, Abenteuer
gesucht, ist dabei falschen Anführern hinterhergelaufen. Vielleicht
ist er verlassen worden, die anderen waren schneller, haben ihn überholt,
sich nicht nach ihm umgedreht, waren auf einmal enteilt. Vielleicht musste
jemand eine Enttäuschung erleben, hat aufgegeben, keinen Mut zum Neuanfang
gehabt. Vielleicht kann er was dafür, vielleicht auch nicht, wie die
Waisenkinder von Lesotho, für die wir heute sammeln. Sie können
nichts für die Krankheit HIV und dass keine Verwandten mehr da sind,
die für sie sorgen können.
„Ein Mensch“ merkt es.
Er verlässt die Bergweide mit all den anderen Schafen und macht sich
auf die Suche. Es ist nicht klar, ob er das Schaf wirklich findet, aber
er versucht es. Wer ist der Mensch? Hier ist wohl nicht Jesus selbst im
Blick, sondern einer oder eine, die Gott beauftragt zu suchen. Sie soll
Gottes Willen erfüllen und losgehen, dem Verlorenen hinterher.
Beim Finden wird große
Freude sein. Viel größere Freude, als über die 99 anderen
Schafe, die immer noch auf der Bergweide grasen. Ist das eine Schaf wertvoller?
Wahrscheinlich nicht. Aber sein Finden war mit größerer Anstrengung
verbunden. „Der Mensch“ machte die Erfahrung, dass er beim Suchen gebraucht
wurde, er hat das Schaf auf seinen Schultern getragen, Finder und Gesuchtes
gehen eine Beziehung ein, die bleibt. Dieses Schaf wird „der Mensch“ erstmal
nicht mehr aus den Augen lassen.
Handlungsanweisungen für
uns
Genau das will der Vater
im Himmel, so schärft es Jesus ein:
-
Achtgeben: Wer fehlt? Bei
dieser Frage richten wir unser Augenmerk auf die „Kleinen“. Wer braucht
Liebe, Zuwendung, Heimat, einen Arzt für die Seele?
-
Auf die Suche machen: Wir
suchen nach einer Verbindung, nach Anknüpfungsmöglichkeiten.
Wir investieren Zeit und werden kreativ.
-
Finden im Sinne Jesu: Dass
die Gefundenen die Erfahrung machen, geliebt von Gott zu sein, zu ihm zu
gehören. Das heißt auch, ihnen am Berghang Platz zu machen,
Privilegien abzugeben, sie aufzunehmen.
Ob wir finden, hängt
letztlich an Jesus, der unserem Suchen immer vorangeht. Aber wir sind in
seinem Rettungsteam, gehören zu seiner Rettungsstaffel, und er schickt
uns in den Einsatz.
Matthäus setzt die
Betonung auf unsere Aktivität: Ihr habt Augen im Kopf. Nehmt wahr,
wer fehlt. Geht nach und orientiert euch immer nach unten.
Was Jesus nicht ausführt,
wir tauschen lebenslang die Rollen. Wir sind nicht immer bei der Rettungsstaffel,
sondern gehen in Phasen unseres Lebens durchaus auch mal verloren, brauchen
einander, um wieder Anschluss zu finden. Das macht uns sensibel dafür,
wie es sich anfühlt, ein „verlorenes Schaf“ zu sein. Und es motiviert,
sich nicht mit 99 Schafen auf der Weide abzufinden.
Den Kindern in Lesotho
können wir mit Spenden helfen, unseren Nächsten hier können
wir durch unser Mit-ihnen-Leben nahe sein und ihnen helfen, Jesus neu zu
vertrauen. Das ist in diesen Wochen besonders spannend, wo wir den selbstverständlichen
Kontakt zu unseren Nächsten oft nicht mehr haben. Es ist im Sinne
Jesu, die im Blick zu haben, die nicht unter die Leute kommen, auf einen
Anruf warten. Die mit ihren Lebensproblemen im Moment so wenig Hilfe bekommen
können, weil Ämter überlastet sind und Termine in Beratungszentren
nur schwer zu bekommen sind. Die finanziell in Not geraten sind und schnelle,
unbürokratische Unterstützung brauchen.
Wenn wir selbst diesen
Blick Jesu brauchen, können wir Gott unsere Not anvertrauen und aufmerksam
sein, welche Hilfe er uns gibt. Vielleicht bietet jemand ganz überraschend
seine Begleitung an. Vielleicht hört uns eine Freundin zu, wenn wir
uns trauen, von unserern Ängsten zu reden. Und manchmal tun sich Türen
auf, die wir als ewig verschlossen wahrgenommen hatten. Gott wird uns nicht
allein lassen, er hat Phantasie, uns auf vielerlei Arten zu suchen und
zu finden.
Cornelia
Trick
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