Wer sitzt auf der Anklagebank? (Johannes 8,3-11)
Gottesdienst am 27.6.2021 in Brombach

Liebe Gemeinde,
vor kurzem sah ich eine Serie rund um einen jungen Mann, der eine Bank hackte. Sehr nahe wurde einem diese Figur gebracht, wie er fast ohne Zutun in eine ausweglose Lage geriet und in das Verbrechen hineingezogen wurde. Am Ende entkam er der Justiz und konnte mit seiner Mutter und seiner Schwester in einem anderen Land ein neues Leben beginnen. Ich atmete auf, als diese Schlussszenen eingeblendet wurden. Nicht, dass ich gut finde, Banken zu plündern, aber ich hatte Mitgefühl für diesen Menschen entwickelt, der so offensichtlich zu seiner Tat gezwungen worden war. Andere hätten bestraft werden sollen. 

So ähnlich atme ich jedes Mal bei einer Jesus-Begegnung mit einer von den Behörden angeklagten Frau auf, wenn klar wird, dass sie ihren Anklägern entkommt.

Jesus war unterwegs in Jerusalem, so berichtet es das Johannesevangelium. Er scharte überall Menschen um sich. Wie wenn er seinen Akku in die Ladestation legte, suchte er nachts die Nähe Gottes auf dem Ölberg, betete und ließ sich Kraft für den nächsten Tag schenken. Wieder würden neue Menschen, unbekannte Situationen und schwierige Herausforderungen auf ihn warten. Am nächsten Tag setzte er seine Reden im Tempel fort. Er wird den Zuhörerinnen und Zuhörern von dem weiten, offenen Herz Gottes für seine Menschenkinder erzählt haben. Er wird ihnen die Sehnsucht des Vaters im Himmel nahegebracht und um ihr Vertrauen geworben haben. Er wird sie ermutigt haben, ihre Begrenzungen vor Gott einzugestehen und seine Hilfe anzunehmen.

Die Resonanz unter den einfachen Leuten war groß. Ihr Leben schien einen neuen Wert zu bekommen. Sie mussten keine Bedingungen erfüllen, nicht teure Opfergaben bringen, keine lupenreine Weste vorweisen. Auch ihre falschen Entscheidungen, ihre Irrwege konnten sie Gott offenbaren und sich seiner Hand anvertrauen. 

Aber diese hoffnungsvolle, gespannte Atmosphäre wurde jäh gestört.

Johannes 8,3-11
Da führten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau herbei, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: »Lehrer, diese Frau da wurde auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt. Im Gesetz schreibt uns Mose vor, eine solche Frau zu steinigen. Was sagst du denn dazu?« Mit dieser Frage wollten sie ihm eine Falle stellen, um ihn anklagen zu können. Aber Jesus beugte sich nur nach vorn und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie nicht aufhörten zu fragen, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: »Wer von euch ohne Schuld ist, soll den ersten Stein auf sie werfen.« Dann beugte er sich wieder nach vorn und schrieb auf die Erde. Als sie das hörten, ging einer nach dem anderen fort, die Älteren zuerst. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die immer noch dort stand. Jesus richtete sich auf und fragte: »Frau, wo sind sie? Hat dich niemand verurteilt?« Sie antwortete: »Niemand, Herr.« Da sagte Jesus: »Ich verurteile dich auch nicht. Geh, und lad von jetzt an keine Schuld mehr auf dich.«

Das Gesetz sagt …
Eine Frau wurde mit ihrem Liebhaber beim Ehebruch ertappt. Ehebruch hieß, dass eine verheiratete Frau ihrem Ehemann untreu wurde. Als sein Besitz brach sie die Ehe. Doch wo ist in dieser Szene ihr Liebhaber, dem die gleiche Strafe drohte? Schon dieses Detail lässt erkennen, dass es den Einflussreichen nicht nur um die Umsetzung von Recht und Ordnung nach Gottes Gebot ging. Vielleicht kannten sie den Liebhaber und deckten ihn – eine Hand wäscht die andere. Vielleicht war er rechtzeitig geflohen. Sie waren mit der Frau zufrieden, sie nützte ihrem Vorhaben.

Denn eigentlich ging es ihnen um Jesus. Den wollten sie seiner Gesetzlosigkeit überführen. Sie erwarteten von ihm, dass er, der immer von Gottes Barmherzigkeit sprach, auch dieser Frau gegenüber Gnade vor Recht gelten ließ. Gleich zwei Gesetzesbrecher hätten sie damit erwischt, die Frau im Ehebruch und Jesus, der Gottes Gebote ignorierte. Die führenden Theologen und Politiker fühlten sich im Einklang mit Gottes Willen. Sie wollten dazu beitragen, ein reines Israel herzustellen, aus dem alle Bösen ausgemerzt waren.

Jesus sagt …
Wenn wir den weiteren Fortgang der Geschichte nicht schon kennen würden, wären auch zwei andere Handlungsstränge denkbar. Jesus hätte die Frau ansprechen und sie nach ihrer Geschichte fragen können. 

Vielleicht wurde sie von ihren Eltern früh verheiratet. Der Mann hatte sich nie für sie interessiert, eher für die Mägde des Haushalts, was damals legitim war. Sie war auf der Suche nach einem Menschen, der sie liebte. Gefunden hatte sie ihn im Liebhaber. Doch der ließ sie am Ende auch im Stich, allein stand sie nun da. Der Tod war wahrscheinlich durchaus attraktiv für sie. 

Vielleicht hätte Jesus auch mit den Schriftgelehrten gestritten, wie Gottes Gebote denn zu verstehen waren. Konnte man das Böse durch Steinigung entfernen? Wuchs es nicht immer und überall sofort wieder nach mit unterschiedlichen Gesichtern? War das Böse nicht überall, wo Menschen einander wehtaten, wo sie nicht Gott in die Mitte stellten, sondern sich selbst? Und er hätte mit ihnen diskutieren können, wie das Böse besiegt werden konnte.

Doch Jesus war still. Er malte mit dem Finger im Sand. Verschiedene Deutungen sind möglich. Mag sein, er rechnete mit bibelkundigen Schriftgelehrten und Pharisäern. Da wird ihnen ein Wort Jeremias eingefallen sein: „Alle, die sich von Gott abwenden, werden vergehen. Ihre Namen sind in Staub geschrieben.“ (Jeremia 17,13) Mir gefällt eine zweite Deutung besser. Seine Sandmalerei könnte ein Ausdruck seines Innehaltens gewesen sein. Jesus holte Atem, verband sich mit Gott und wartete auf seine Antwort. Auch Jesus, und da zeigte er sich ganz als Mensch wie wir, hatte keine Patentlösung im Ärmel. Sondern er war angewiesen auf Gottes Impuls.

Den erhielt er offenbar, denn er richtete sich auf und sagte schließlich nur einen Satz, sinngemäß unser Sprichwort: „Wer selbst im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.“ Es gibt ja nicht nur Ehebruch, sondern viele Möglichkeiten, aus Gottes Schule zu laufen. Stelle ich Gott immer an die erste Stelle, und zeigt sich das in meinem Alltag? Kommen meine Glaubens-Aktivitäten wie Gottesdienst, Kleingruppe, Zeiten mit Gott vor allen anderen Freizeitbeschäftigungen? Wie gehe ich mit dem Sonntag um, ist es ein Atemhol-Tag, um die Kraft Gottes zu tanken, oder eher ein Ramschtag, an dem ich alles Übriggebliebene der Woche abarbeite? Wie sieht es aus mit meinen Gefühlen, bin ich im Lot, oder spielen sich Neid, Vergeltung, schlechte Gedanken über andere in den Vordergrund? Überhaupt meine Gedanken, worum kreisen sie? 

Jesus sagt hier nicht, dass er Ehebruch gut findet, aber er macht deutlich, dass wir alle wie diese Frau vor Gott schuldig werden. Die Männer damals verstanden, sie ließen ihre Steine fallen und gingen weg. Die Frau stand nun allein vor Jesus, und der schickte sie in ein neues Leben ohne Schuld.

Aber wohin sollte sie gehen? Zu ihrem Ehemann konnte sie sicher nicht zurück, ihr Liebhaber war verschwunden, in ihrem alten Umfeld würde sie immer die Ehebrecherin bleiben und von allen gemieden werden. Die einzig realistische Chance auf ein neues Leben hatte sie - und ich hoffe, dass sie sie ergriffen hat -, wenn sie Jesus folgte, mit ihm und seinen Nachfolgern und Nachfolgerinnen mitzog, dabei mehr über Gott lernte und dieses neue Leben mit Jesus unter seiner Anleitung beginnen konnte. Denn nur so verfiel sie nicht mehr in alte Muster und konnte bei Gott ihren Durst nach Liebe stillen.

Jesus sagt uns …

  • Erkennt euch in der Frau wieder! Auch wir werden ertappt, wenn wir unser eigenes Ding drehen. Manchmal sind es die Kleinigkeiten, unser liebloses Reden über andere, ein Durchsetzen auf Kosten anderer, unsere eingeschränkte egoistische Sicht auf Konflikte. Jesus ertappt uns, aber er gibt uns die Chance, es neu zu versuchen, neue Wege einzuschlagen. Möglich wird das, wenn wir uns bei ihm als unserem „Akku“ aufladen.
  • Erkennt euch in den Pharisäern und Schriftgelehrten wieder! Die Ankläger werden zu Angeklagten. Sie sind entlarvt und keineswegs moralisch erhabener als die Frau. Wann immer wir uns eine Stufe höher als andere wähnen, sollte uns diese Geschichte in den Sinn kommen – vor Gott sind wir alle gleich und sollten den Schlusssatz auch für uns hören: „Geh, und lad von jetzt an keine Schuld mehr auf dich.“ Die Führenden folgten diesem Wort nicht. Wenig später berichtet das Johannesevangelium, dass sie die Steine wieder erhoben, diesmal gegen Jesus, weil er sich auf die Seite der gesellschaftlichen Versager stellte. Aber er entkam ihnen.
Jesus macht den Unterschied. Er ist das Licht des Lebens, das unser Innerstes beleuchtet und zu Tage bringt. Es tut weh, die eigenen Fehler zu erkennen. Aber wir müssen nicht mit ihnen weiterleben. Wir können die Steine unserer Schuld fallenlassen und der Aufforderung Jesu folgen: Gehen an seiner Hand und ihn bitten, dass er uns verändert, damit wir ihm ähnlicher werden.

Jesus sagt: »Ich bin das Licht dieser Welt. Wer mir folgt, tappt nicht mehr im Dunkeln. Er wird das Licht des Lebens haben(Johannes 8,12)

Cornelia Trick


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